Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

Wiens erste "Hitler-Glocke", Teil I

 

01. - 30. September 2019

 

 

 

Die erste "Hitler-Glocke" Wiens erklang vom Kirchturm der Pfarrkirche in Sievering. Nach 1946 verschwand sie. Angeblich. Doch ruft ihr Schlagton

"G" auch heute noch zur Messe? Etwa an einem anderen Ort?

 

 

 

Bildquelle: "Das kleine Volksblatt", 09.04.1938, S. 17
Bildquelle: "Das kleine Volksblatt", 09.04.1938, S. 17

Österreichs allererste "Hitler-Glocke"

 

Die erste "Hitler-Glocke" Österreichs wurde nur wenige Wochen nach dem "Anschluss", bereits im April 1938, von der Wiener Glockengießerei Josef Pfundner für die Ortskirche der niederösterreichischen Gemeinde Zwingendorf gegossen.

 

Die Gießerei Pfundner erhielt jedoch auch solche Bestellungen, die eher wie "politische Anpassungsaufträge" wirkten, so u. a. 1939 aus Schloss Wolfpassing, welches seine Schlossglocke von einer "Dollfuß-Glocke" zu einer "Hitler-Glocke" umarbeiten ließ.

Bildquelle: "Kleine Volks-Zeitung", 11.05.1938, S. 8
Bildquelle: "Kleine Volks-Zeitung", 11.05.1938, S. 8

Bereits im Mai 1938,

 

kurz nach der ersten österreichischen "Hitler-Glocke" folgte die erste Wiener "Führer-Glocke", für die Pfarrkirche Sievering. Auf der einen Seite der Glocke das Bild Adolf Hitlers samt Hakenkreuz, auf der anderen jenes des Hl. Severin, des Kirchenpatrons von Sievering. Dazu folgende Aufschrift, ersonnen vom Sieveringer Pfarrer Benno Todt, einem der Auftraggeber: "Ich grüße die neue Zeit, Heil Deutschland, groß und weit!"

 

 

 

Bild links: Der fertiggestellte Guss der ersten "Hitler-Glocke" Wiens, Mai 1938

Bildquelle: "Illustrierte Kronen-Zeitung", 29.05.1938, S. 25
Bildquelle: "Illustrierte Kronen-Zeitung", 29.05.1938, S. 25

Crowdfunding in Sievering anno 1938

 

"Die Herstellungskosten von 3.800 Schilling werden von der Sieveringer Bevölkerung, meist Hauerleuten, getragen." (Illustrierte Kronen-Zeitung, 29.05.1938; Anm.: die Reichsmark war bereits seit 17. März 1938 offizielles Zahlungsmittel.)

 

 

 

und das Scherflein der Witwe

 

Den ersten Beitrag leistete "eine einfache Frau aus dem Volk, eine arme Witwe" ("Das kleine Volksblatt", 12.05.1938), mit 6 Schilling, der Einheit für 1kg "Glocken-speise" (Anm.: Fachausdruck für das verwendete Gussmaterial).

 

 

Bildquelle: "Das kleine Volksblatt", 29.05.1938, S. 7
Bildquelle: "Das kleine Volksblatt", 29.05.1938, S. 7

Telegramm des Pfarrers an Hitler

 

In seinem Telegramm an die Reichs-kanzlei schrieb der Sieveringer Pfarrer Benno Todt: "Die Pfarre Sievering bringt aus Anlaß des Gusses Ihrer Glocke, der ersten Hitler-Glocke Wiens, dem Führer ein Sieg-Heil!"

 

Und die Antwort aus Berlin ließ nicht lange auf sich warten. Für den Führer antwortete ein Ministerialdirektor Dr. Doehle: „Sehr geehrter Herr Pfarrer! Der Führer und Reichskanzler hat mich beauftragt, Ihnen seinen herzlichsten Dank für das Begrüßungstelegramm aus Anlaß des Gusses der Glocke der Pfarre Sievering zu übermitteln. Heil Hitler!“ (Kleine Volks-Zeitung, 11.05.1938)

Bildteil links: Pfarrkirche Sievering, Bildteil rechts: Pfarrkirche Orth an der Donau.   ©: Memory Gaps, 2019
Bildteil links: Pfarrkirche Sievering, Bildteil rechts: Pfarrkirche Orth an der Donau. ©: Memory Gaps, 2019

"Orthswechsel"

 

Wie der Ortschronik der Gemeinde Orth an der Donau aus 1946 zu entnehmen ist, fehlte der Gemeinde seit 1917 die größte ihrer drei Kirchturmglocken, jene auf "G" gestimmte. Nach Kriegsende beauftragte die Orther Pfarre die Glocken-gießerei Pfundner mit der Herstellung einer neuen Glocke. Diese wurde jedoch nicht in den Orther Glockenstuhl gehängt, sondern es wurde "getauscht".

Mutmaßlich aufgrund eines Hinweises der Gießerei, tauschte die Orther Pfarre ihre Glocke mit jener von Sievering, welche ihre "Hitler-Glocke" nach Kriegs-ende möglichst rasch loswerden wollte.

©: Memory Gaps, 2019 (mit freundlicher Unterstützung der Pfarre Orth an der Donau)
©: Memory Gaps, 2019 (mit freundlicher Unterstützung der Pfarre Orth an der Donau)

Abschleifen statt umschmelzen

 

Die "Hitler-Glocke" aus Sievering wurde demnach 1946 nicht eingeschmolzen, sondern blieb im Original erhalten. Kurzerhand wurden nur das reliefartige Hitler-Porträt, das Hakenkreuz und die Inschriften, inkl. des "Ich grüße die neue Zeit, Heil Deutschland, groß und weit!" abgeschliffen und durch andere ersetzt.

 

Vermutlich hängt die erste Wiener "Hitler-Glocke" somit noch immer in einem sog. "Glockenjoch" und lädt heutzutage die Ortherinnen und Orther zum Gottesdienst.

©: Memory Gaps, 2019 (mit freundlicher Unterstützung der Pfarre Orth an der Donau)

Teil II der Intervention: Wiens erste "Hitler Glocke", Oktober 2019