Konstanze Sailer
Tusche auf Papier
Galerie Ort der Kunst
80636 München
Henriette Rothkirch (* 09. Dez. 1900 in München; † 31. März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg / Saale) wurde am 24. Februar 1939 in Wien verhaftet, zunächst in das Konzen-trationslager Lichtenburg und wenige Monate später in das KZ Ravensbrück deportiert. Die Haftgründe lauteten: „Jüdin“ und „politischer Widerstand“. Henriette Rothkirch wurde am 31. März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg an der Saale ermordet.
Bis zum heutigen Tag existiert in München keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Friedrich Hilble heute noch eine Straße im Münchner Stadt-bezirk Neuhausen-Nymphenburg benannt. Hilble war ein „äußerst pflichtgetreuer" städtischer Beamter in München, der sich mutmaßlich in den 1930er-Jahren durch „uneingeschränkte Loyalität" zum NS-Regime „höchst verdient“ gemacht hatte. Anstelle von Friedrich Hilble sollte künftig in Neuhausen-Nymphenburg an Henriette Rothkirch erinnert werden.
Mehr als 70.000 Menschen
mit oftmals willkürlich diagnostizierten geistigen und körperlichen Erkrankun- gen wurden während der NS-Diktatur zwischen 1940 und 1945 systematisch in NS-Tötungsanstalten ermordet.
Die NS-Krankenmorde waren
Massenmorde an Menschen, die vom NS-Regime als „lebensunwertes Leben“ eingestuft wurden. Der euphemistische NS-Sprachgebrauch für die Morde lautete: „Euthanasie“ oder „Gnadentod“.
Die systematische Vernichtung
von kranken und geistig behinderten Menschen im Nationalsozialismus basierte auf rassischen Ideologien wie der sogenannten „Rassenhygiene“ und einer „Höherzüchtung der arischen Rasse“.
Mit dem abscheulichen
Zynismus „Heilen oder Vernichten“ strebte das NS-Regime danach, den sog. „deutschen Volkskörper“ von gesundheitlich, sozial und rassisch unerwünschtem Leben zu befreien.
Zwischen 1939 und 1941
wurden sechs NS-Tötungsanstalten errichtet, in denen von eigens dazu ausgewählten insgesamt etwa 20 Tötungsärzten die Massenmorde durch Kohlenmonoxid-Gas – zumeist eigenhändig – vorgenommen wurden.
In der NS-Tötungsanstalt
Bernburg an der Saale war ein Arzt „medizinischer Leiter“, der später, im Sommer 1942, der erste Leiter des Vernichtungslagers Treblinka wurde.
Der Philosoph, Ästhetiker,
Soziologe und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno vermerkte in seinen ethischen Reflexionen: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen."
Dass 70 Jahre nach Kriegsende
nach wie vor an Friedrich Hilble erinnert wird, indem man ihm die Ehre eines Straßennamens zuteil werden lässt und diese Straße auch noch eine Kreuzung mit der Dachauer Straße bildet, kann Absicht, Versehen oder auch nur eine verwaltungstechnische Geschmacklosigkeit sein.
Die in den Tuschen
von Konstanze Sailer angedeuteten Kiefer sind in das Bild gesetzte sprachliche Zeichen. Sie ordnen zu: Kiefer zu Aufschrei, Schriftzeichen zu Todesphonem. Schreie und Aufschreie sind jäh unterbrochene Sprache. Sie zerreißen die Stille. Nach ihrem Verklingen bleibt ihr Nachhall unaufhörlich bestehen. Dauerhafte Erinnerung.