Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Paulsplatz 11"

Ausstellung 01. - 31. Mai 2017

 

Konstanze Sailer

 

Tusche auf Papier

 

 

 

Galerie L‘arc de l‘art

Ernst-Tockus-Bogen 43

81929 München Bogenhausen

 

Ernst Tockus (* 28. September 1936 in München; † 1943 im Vernichtungslager Auschwitz), war mit seiner Familie, wohnhaft am St.-Pauls-Platz 11/III, bereits 1938 nach Antwerpen geflohen. Ab Mai 1940 wurde Belgien von NS-Deutschland militärisch besetzt, die jüdische Familie wurde verhaftet und in der Kaserne Dossin, dem SS-Sammellager in Mechelen/ Malines bei Brüssel festgesetzt. Von dort wurde Ernst Tockus gemeinsam mit seiner Mutter Grete und Schwester Ruth, am 15. Januar 1943, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und vermutlich kurz nach seiner Ankunft – im Alter von sechs Jahren – ermordet.

 

Bis zum heutigen Tag existiert in München keine Straße, die seinen Namen trägt. Hingegen ist nach der Lyrikerin Ina Seidel seit 1984 eine Straße, der Ina-Seidel-Bogen in München Bogenhausen benannt, ebenso wie Straßen und Wege in über drei Dutzend weiteren Städten und Orten Deutschlands. Seidel unterzeichnete 1933 nicht nur das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, ihre Artikel und Gedichte während der NS-Diktatur zeugen von aufrichtigem Führerglauben und sind voll von Huldigungen an Hitler. Anstelle von Ina Seidel sollte in München Bogenhausen künftig an Ernst Tockus erinnert werden.

"Schrei 10:36 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 10:36 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine der zahlreichen

 

entindividualisierenden Kennzeichnungen in den Konzentrationslagern war die Kategorie der „blauen Winkel“, mit welchen sogenannte „volksschädliche Emigranten“ stigmatisiert wurden.

 

 

 

 

 

"Schrei 10:38 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 10:38 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als „Emigranten

 

wurden jene Menschen auf zynische Weise bezeichnet, die zwar rechtzeitig aus dem NS-Machtbereich geflohen waren, die jedoch durch die militärische Besetzung jenes Landes, in das sie emigriert waren, erneut in die Hände von Gestapo oder SS fielen.

 

 

 
 

"Schrei 10:43 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 10:43 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

   

 

 

 

 

   

 

1938 begrüßte Ina Seidel

 

den Anschluss Österreichs in einem begeisterten Artikel „Das Ja der deutschen Frau“:

 

Wir deutschen Frauen zwischen dem nordischen Meer und den südlichen Schneebergen reichen uns heute die Hände, ...

 

 

 

 

"Aufschrei 11:18 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 11:18 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

... und der heilige Funke, der durch diese lebendige Kette läuft, soll mit Flammenschrift am großdeutschen Himmel aufleuchten als unser einiges, begeistertes, dankbares und verantwortungsbewußtes Ja!

 

 

 

 

"Aufschrei 14:28 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 14:28 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

  

 

  

 

 

 

 

 

 

Zu Hitlers Geburtstag 1939

 

schrieb Seidel das Huldigungsgedicht „Lichtdom“. Darin heißt es:

 

In Gold und Scharlach, feierlich mit Schweigen,

ziehn die Standarten vor dem Führer auf.

Wer will das Haupt nicht überwältigt neigen?

 

 

 

 

"Aufschrei 16:55 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 16:55 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ina Seidel wurde 1944

 

von Hitler persönlich auf dessen sogenannte Gottbegnadetenliste gesetzt.

 

 

 

  

"Endloser Schrei 22:39 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Endloser Schrei 22:39 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das unfassbare Leid

 

der Opfer entzieht sich der Sprache. Die in Bilder gesetzten Aufschreie sind lautlos. Sie repräsentieren schmerzerfüllte Verzweiflungsschreie, sie machen diese erneut präsent, rufen sie zurück in unser kollektives Gedächtnis.

 

 

 

 

"Endloser Schrei 23:43 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Endloser Schrei 23:43 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 

 

Die Schreie“ und Aufschreie

 

aus dem Papierwerk der Malerin Konstanze Sailer tragen keine Namen, sondern individuelle Uhrzeiten. Aufschreie sind jäh unterbrochene Sprache, wie abschiedsloses Sterben.