Konstanze Sailer
Tusche auf Papier
Galerie Neue Räume
Paul-Schieberle-Gasse 42
1230 Wien
Paul Schieberle (* 07. Mai 1896 in Wien-Leopoldstadt; † 10. Dezember 1942 im Konzen-trationslager Dachau). Stellvertretend für tausende homosexuelle Männer und Frauen, die in den NS-Vernichtungslagern ermordet wurden und deren Schicksale 70 Jahre nach Kriegs- ende nur äußerst bruchstückhaft aufgearbeitet sind, soll an Paul Schieberle erinnert werden. Wie aus Dokumenten des Archivs der KZ-Gedenkstätte Dachau hervorgeht, war Paul Schieberle als sogenannter "Berufsverbrecher" im Konzentrationslager Dachau inhaftiert.
Bis zum heutigen Tag existiert in Wien keine Straße, die seinen Namen trägt. Hingegen ist nach Josef Manowarda noch heute eine Gasse in 1230 Wien benannt. Manowarda war Opernsänger an der Wiener und Berliner Staatsoper und NSDAP-Mitglied seit 1933. Da er einer der Lieblingssänger der NS-Führung war, nahmen nach dessen Tod 1942 auch Göring und Goebbels an der Trauerfeier teil.
Von 1933 bis 1945
zerschlugen die Nationalsozialisten systematisch hunderttausende gleich-geschlechtliche und transgender Lebensweisen. Sie verfolgten, internierten und ermordeten Schwule und Lesben. Hören wir noch deren endlose Schreie?
Die "Reichszentrale
zur Bekämpfung der Homosexualität" verfolgte und verurteilte über 50.000 homosexuelle Männer nach dem verschärften §175 des Strafgesetz-buches. An die 20.000 Männer wurden in Konzentrationslagern interniert. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde dort ermordet.
Mit den Winkeln,
jenen farbigen, gleichschenkligen Stoffdreiecken auf der Häftlings-kleidung wurden Menschen, zusätzlich zu den Häftlingsnummern, ihrer Grundrechte beraubt, kategorisiert und damit entindividualisiert.
Die farbigen Winkel
bestimmten den Platz und das Grauen der Alltagsabläufe in den Konzentrationslagern. Rosa Winkel mussten von Schwulen getragen werden. Lesben wurden zumeist als „Asoziale“ eingestuft und mit schwarzen Winkeln gekennzeichnet. Ihre Zahl ist nicht einmal annähernd ermittelbar, auch deshalb, weil bis etwa Mitte der 1980er Jahre keine wissenschaftliche Erforschung ihrer Verfolgungsgeschichte stattfand.
Rosa Winkel
kennzeichneten eine, sogar innerhalb des Konzentrationslagers ausge-grenzte Randgruppe, die besonders grausamer Behandlung durch die SS ausgeliefert war und zudem auch vergleichsweise wenig Solidarität der Mithäftlinge erhielt.
Der §175
des NS-Strafgesetzbuches wurde in der BRD bis in das Jahr 1969 bei- behalten, ab 1969 entschärft, und erst 1994 in Deutschland vollständig aufgehoben. Die Österreichische Bundesregierung hat erst 2005 Homosexuelle als Opfergruppe der NS-Verfolgung offiziell anerkannt.
"Das Schweigen
ist ein Wort, das kein Wort ist, und der Atem ein Gegenstand, der kein Gegenstand ist“, schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille.
Die Aufschreie,
die zum Schrei geöffneten Kiefer in den tausenden Tuschen auf Papier von Konstanze Sailer, sind in das Bild gesetzte sprachliche Zeichen. Jeder der Kiefer repräsentiert den Tod eines Menschen, ein Ereignis, ungleich jedem anderen.
Das unfassbare Leid
der Opfer entzieht sich der Sprache. Malerisch festgehaltene Aufschreie sind lautlos. Sie repräsentieren Schreie, sie machen diese wieder präsent und fügen sie ein in unsere kollektive Verpflichtung zu einer wahrhaftigen Erinnerungskultur.