Richard Kuhn, Nobelpreisträger
Otto Meyerhof, jüdischer Nobelpreisträger 1922, schrieb in seinem Gutachten 1947: "Professor Kuhn ... hat sich mit dem Nazi-Regime in einigen wesentlichen Punkten eingelassen." Otto Meyerhof verlor seine Lehrbefugnis und floh 1938 nach Frankreich und, nach der Invasion der deutschen Wehrmacht in Frankreich 1940, weiter in die USA. In einem (nicht abgesendeten) Brief an Richard Kuhn aus dem Nachlass von Otto Meyerhof heißt es: „Ich kann die Kritik nicht verschweigen, die von den Kollegen der alliierten Länder an Ihnen geübt wird ... daß Sie Ihre bewundernswürdige wissenschaftliche Leistung und chemische Meisterschaft freiwillig in den Dienst eines Regimes gestellt haben, dessen unaussprechliche Abscheulichkeit und Verruchtheit Ihnen wohl bewußt war.“
Der gebürtige Wiener Richard Kuhn (* 1900), war Chemiker, lehrte u.a. an der Universität Heidelberg und erhielt 1938 den Nobelpreis für Chemie (aufgrund des ab 1937 bestehenden NS-Verbotes Nobelpreise anzunehmen, musste Kuhn diesen ablehnen, er wurde 1949 nachträglich ausgehändigt). Seine treue Gefolgschaft dem NS-Regime gegenüber wurde als Mischung aus Karriere-Opportunismus und vorauseilendem Gehorsam beschrieben: akribische Übererfüllung der Gesetze zur Entlassung jüdischer Wissenschaftler, Denunziation jüdischer Mitarbeiter anderer Forscher bis hin zur Forschung an Massenvernichtungswaffen in Form offensiver und defensiver Giftgase. Nach 1945 trat Kuhn als einer von vielen NS-Wissenschaftlern in US-amerikanische Dienste, ehe er 1953 wieder an das Max-Planck- Institut in Heidelberg zurückkehrte. Richard Kuhn war von 1938 bis 1945 Präsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft und ab 1940 auch Leiter der Fachsparte Organische Chemie des Reichsforschungsrates.
Die Gesellschaft Deutscher Chemiker beschloss 2005, die seit 1968 regelmäßig verliehene Richard-Kuhn-Medaille nicht mehr zu verleihen.
Umbenennung in Wien
Memory Gaps erinnerte 2017 in Heidelberg (u.a. Rhein-Neckar-Zeitung , Die Stadtredaktion) und Wien (u.a. Der Freitag) an die kommunalen Ehrungen, die Richard Kuhn in beiden Städten zuteilwurden. Nach zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen vonseiten Memory Gaps im Verlauf des Jahres 2017, wurde der Richard-Kuhn-Weg in Wien-Penzing in dem sich ein Kindergarten der Stadt Wien befindet, im Jahre 2018 in „Stadt-des-Kindes-Weg“ umbenannt.
Dieses Best-Practice-Beispiel der Wiener Stadtverwaltung könnte auf Heidelberg übertragen werden, da sich auch in Heidelberg in den nach Richard Kuhn und Felix Wankel benannten Straßen Schulen, Kitas bzw. Kinderspielplätze befinden.
Felix Wankel
Nach Felix Wankel sind nach wie vor in mehreren Dutzend Orten Deutschlands, darunter sogar Dachau, Straßen benannt, so auch in Heidelberg. Wankel war ein herausragender Maschinenbauingenieur und Erfinder des gleichnamigen Motors. Er trat bereits 1921/22 der NSDAP in Mannheim bei, wurde später ausgeschlossen und war 1931/32 insg. 11 Monate hindurch Gauleiter der Hitlerjugend in Baden. Heinrich Himmler ernannte ihn 1940 zum SS-Ober-sturmbannführer (ohne Dienstverrichtung, 1942 wurde er von der SS ausgeschlossen). Wankel erhielt eigenen Angaben zufolge für seine verschiedenen technischen Entwicklungen ca. 4 ½ Millionen Reichsmark vonseiten des Reichsluftfahrtministeriums.
Quellen: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 2, Nr. 2466/028; Nr. 2855/012; Nr. 2684/249 (Entnazifizierungsakten; Staatskommissariat für die politische Säuberung, Laufzeit 1945-1952)
Niemand will den Personen, die NS-Mitläufer oder Karriere-Opportunisten waren – und zu denen auch renommierte Wissenschaftler und Künstler zählten – ihre wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen absprechen. Doch kommunale Ehrungen mittels Straßennamen meinen immer den gesamten Menschen, nicht nur einen Ausschnitt oder Teil des Lebens.
Es gibt Lebensführungen, die untadelig waren, jene der toten Kinder des Holocaust beispielsweise. Nach einigen von diesen sollten Straßen und Plätze benannt werden. Umbenennungen von jenen Straßen, die heute noch nach den damals „Dabeigewesenen“ benannt sind, wären im 21. Jahrhundert ein Zeichen geschichtsbewussten Gedenkens im Sinne angemessener Erinnerungskultur.