Josef Reiter, Komponist aus Braunau, mit Gedenktafel in Wien
In oberösterreichischen Braunau am Inn wurden 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, zahlreiche nach Nationalsozialisten benannte Straßen und Plätze umbenannt. So unter anderem der Adolf-Hitler-Platz und die Adolf-Hitler-Straße, die Baldur-von-Schirach-Straße, die Wöhlerstraße (nach Otto Wöhler), die Fritz-Todt-Straße, die Walter-von-Reichenau-Straße und die SA-Straße, um nur einige wenige zu nennen.
Eine der Umbenennungen wurde dabei offenbar übersehen und könnte, im Jahr 2023 oder 2024, vonseiten der Stadtgemeinde Braunau korrigiert werden. Die nach Ernst Udet, einem deutschen Jagdflieger des Ersten Weltkrieges und Generalluftzeugmeister der NS-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, benannte Straße wurde im Oktober 1945, d.h. nach Kriegsende, ausgerechnet in Josef-Reiter-Straße umbenannt.
Der 1862 in Braunau geborene Komponist, Dirigent und Musikpädagoge Josef Reiter war u.a. von 1908-1911 Leiter des Salzburger Mozarteums sowie danach, von 1917-1918 Kapellmeister am Hofburgtheater in Wien. Reiter war bereits seit 1929 (!) illegales NSDAP-Mitglied und kandidierte 1930/31 für die NSDAP. Er übersiedelte 1933 in den wenige Kilometer südwestlich von Salzburg gelegenen Ort Bayerisch-Gmain, wurde 1937 deutscher Staatsbürger und engagierte sich für den "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich.
"Ich war schon im Jahre 1929 Wahlkandidat der NSDAP und machte aus meinem deutschen Herzen keine Mördergrube. … Zu Ostern 1933 erlebte ich das Glück, bei unserem Führer in Berchtesgaden eingeladen zu werden. So ganz ohne Stolz sprach der Reichskanzler mit mir und war recht herzlich, als ich ihm sagte, daß ich sein engerer Landsmann sei. … Wenige Monate später übersiedelte ich nach meinem jetzigen Wohnort Bayerisch-Gmain und war wieder ganz in der Nähe von Berchtesgaden bei meinem Führer."
Interview mit Josef Reiter, Das kleine Volksblatt, 22. Mai 1938
Seine Komposition "Goethe-Symphonie" widmete er Adolf Hitler und komponierte 1938 u.a. die Kantate "Festgesang an den Führer". Knapp zwei Monate nach dem "Anschluss", den er als "herrlichen Umbruch" bezeichnete, erhielt Josef Reiter, am 10. Mai 1938, den Ehrenring der Stadt Wien, überreicht durch Vizebürgermeister und SS-Mitglied Hanns Blaschke:
Jener Ehrenring, den Josef Reiter freudig entgegennahm, besaß noch ein Design, das die sozialdemokratische Stadtverwaltung 1925 festgelegt hatte.
NS-Ringe und -Netzwerke
Kajetan Mühlmann, SS-Offizier, Staatssekretär für Kunst und NS-Kunsträuber raubte mit seinen Schergen öffentliche, kirchliche und vor allem jüdische Kunstschätze, in mehreren von der deutschen Wehrmacht unterworfenen europäischen Ländern. Unter anderem ließ sich auch Josef Thorak, ein Lieblingsbildhauer Hitlers, von Mühlmann geraubte gotische Türen und Skulpturen für sein "arisiertes" Schloss Prielau – die Familie Hofmannsthal war enteignet worden – aus Frankreich beschaffen.
Kajetan Mühlmann und Oswald Haerdtl, der spätere Architekt des Wien Museums (dessen Entwurf von der Jury 1953 nicht unter den ersten drei Plätzen des Wettbewerbs gereiht wurde; die Eröffnung des Wien Museums fand 1959 statt), verbanden in der NS-Diktatur zahlreiche Kontakte. Mühlmann hatte Haerdtl persönlich für die Wehrmacht im Generalgouvernement der NS-besetzten polnischen Gebiete angefordert. Schließlich gründete Haerdtl ein Filial-Architekturbüro in Krakau (später Breslau) und plante dort u.a. das Parkhotel Krakau (1941-44) sowie ein Theater in Radom, einer Stadt im Süden von Warschau, in der sich sowohl ein Ghetto mit etwa 34.000 Menschen, als auch ein Außenlager des Vernichtungslagers Majdanek befanden. In diesem waren 1944 an die 2.900 Zwangsarbeiter inhaftiert, die für die Waffenfabrik der damaligen Steyr-Daimler-Puch-Werke im Schichtbetrieb arbeiten mussten.
1941
Wie bei "Wettbewerben" nicht gänzlich unüblich, gewann vermutlich auch 1941 nicht der beste Entwurf, sondern der Entwurf des am besten politisch vernetzten Wettbewerbsteilnehmers. Demgemäß gewann während der NS-Diktatur der wuchtig-indezente Entwurf Oswald Haerdtls den Wettbewerb zur Neugestaltung des Wiener Ehrenrings.
Josef Reiter ...
Adolf Hitler verlieh Josef Reiter, dem Träger des Goldenen NSDAP-Ehren-zeichens, anlässlich des 75. Geburtstages die
Goethe-Medaille, überreicht durch Joseph Goebbels. Kurz vor Kriegsbeginn, im Juni 1939, verstarb Josef Reiter.
... von Wien über Salzburg ...
Der Ehrengrabstatus auf dem Wiener Zentralfriedhof wurde Josef Reiter 2004 aberkannt. Ebenso wurde das im August 1938 verliehene „Ehrenbürgerrecht der Gauhauptstadt Salzburg“ vom Salzburger Gemeinderat 2014 widerrufen.
... nach Braunau ...
Braunau könnte diesem Beispiel folgen und anstelle von Josef Reiter, ab dem Jahr 2023 oder 2024, einem Opfer des Nationalsozialismus die kommunale Ehre einer Straßenbenennung zuteilwerden lassen.
Memory Gaps startete im April 2020 einen weiteren Versuch, die Stadtgemeinde Braunau bei der Namensfindung für die Umbenennung der Josef-Reiter-Straße zu unterstützen und schlug drei Opfer
des Nationalsozialismus als geeignete Namensgeber vor. Diese waren gleichfalls österreichische Komponist*innen, unter ihnen etwa Viktor Ullmann, und wurden von den NS-Schergen
ermordet.
... und zurück nach Wien
In der Kendlerstraße in Penzing, dem 14. Wiener Gemeindebezirk, befindet sich nach wie vor eine Ehrentafel für Josef Reiter, enthüllt am 15. Juni 1938:
Memory Gaps fragt, ob diese, 1938 in NS-konformer Diktion verfasste Tafel im Jahr 2023 kulturpolitisch weiterhin keine Irritation samt
Handlungsbedarf auslöst. Falls eine Entfernung der Tafel – aus welchen Gründen immer – nicht möglich sein sollte, erschiene eine entsprechende Kontextualisierung als kultureller Mindeststandard adäquat.
Erinnerung an Viktor Ullmann
Viktor (Victor) Ullmann * 01. Januar 1898 in Teschen (Cieszyn), Österreich-Ungarn; † 18. Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau) war ein österreichischer Komponist, Dirigent und Pianist. Aus einer zum katholischen Glauben konvertierten jüdischen Familie stammend, besuchte er ab 1909 das ehem. Gymnasium in der Rasumofskygasse in Wien, studierte nach dem Ersten Weltkrieg bei Arnold Schönberg und Alexander von Zemlinsky und war u. a. in Prag und Zürich als Kapellmeister und Komponist tätig.
Am 08. Sept. 1942 wurde er in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er unter größten Entbehrungen weiter komponierte. Von dort wurde er, am 16.
Okt. 1944, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und kurz nach seiner Ankunft, am 18. Okt. 1944, ermordet. Zahlreiche seiner Werke gingen verloren, die Theresienstädter
Kompositionen blieben jedoch nahezu vollständig erhalten.
Eine öffentliche Gedenktafel für Viktor Ullmann wäre in Zeiten wiederkehrender Kriege und Gewalt eine adäquate kulturpolitische Handlung, meint Memory Gaps.