Salzburger Erinnerungslücken zwischen
Adlhart, Steinhart und Reinhart*
*sic! (nicht Max Reinhardt)
Jahrzehnte hindurch stellte die Gestalterin des Logos der Salzburger Festspiele, Poldi Wojtek, kein Problem dar. Sie galt als unverdächtige Gebrauchsgrafikerin, die in den 30er und 40er Jahren "halt mit der Zeit gegangen war" und "sich den Nazis ein wenig an den Hals geworfen" hatte.
Die jahrelangen Recherchen von Memory Gaps förderten jedoch ein ganz anderes Bild von Poldi Wojtek zutage: mit umfassenden privaten Verbindungen und tiefen beruflichen Verstrickungen bis in die höchsten Kreise des NS-Establishments, milde ausgedrückt. Die veröffentlichten Rechercheergebnisse von Memory Gaps aus den Jahren 2017 bis 2019 wurden im Zuge der, von den Salzburger Festspielen 2020 in Auftrag gegebenen, Studie des Historikers Oliver Rathkolb vollinhaltlich bestätigt. Seither gilt die Grafikerin und Gestalterin des Logos der Salzburger Festspiele u. a. auch als "schamlose Nazisse".
Seit 2021 hat sich die Bildsprache in Salzburg merklich geändert. Das Logo von Poldi Wojtek ist bisweilen diskret in den Hintergrund getreten. An dessen Stelle sieht man in Pressekonferenzen, auf Websites und in Dokumentationen verstärkt und immer öfter die Mimen-Masken des Halleiner Bildhauers Jakob Adlhart d.J. (* 01.04.1898 in München; † 12.08.1985 in Hallein). Zu Adlharts Werken zählen vor allem Holzplastiken, Kruzifixe, Kreuzweg-Reliefs und Altarteile. Darüber hinaus schuf Adlhart 1926 auch die obengenannten marmornen Mimenmasken, den "Vier-Masken-Block" für das Portal des Großen Festspielhauses in Salzburg:
Jakob Adlhart d.J. war offiziell (ähnlich wie Poldi Wojtek ob ihres Bauhaus-Stils) aufgrund seines expressionistischen Stils von den Nationalsozialisten offiziell nicht erwünscht. Doch der Schwager Adlharts, der NS-Architekt und Salzburger Gau-Siedlungsplaner Otto Strohmayer (auch Strohmayr), verschaffte diesem zahlreiche Aufträge (ebenso wie Josef Thorak, einem der Lieblingsbildhauer Hitlers, dem Salzburg immer noch die Ehre einer Straßenbenennung im Stadtteil Aigen zuteilwerden lässt.)
Zu den bekannten NS-Auftragswerken Adlharts zählen die beiden "Reichsadler" aus Stein, die heute noch den Eingang des Schlosses Kleßheim "bewachen" sowie vier Löwen für die Salzburger Dr.-Todt-Brücke (Staatsbrücke, ab 1943 nach dem NS-Generalinspektor für das Straßenwesen und NS-Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt benannt; nach Kriegsende wieder in Staatsbrücke umbenannt). Die Adlhart-Löwen wurden nicht wie geplant an den Brückenköpfen aufgestellt, sondern in der Nachkriegszeit diskret aus Salzburg entsorgt: zwei von diesen stehen noch heute vor dem Hauptbahnhof in Linz.
Erinnerungslücken im Werkverzeichnis von Jakob Adlhart d.J. ?
Wie einschlägigen Medien aus 1942 sowie weiteren Quellen zu entnehmen ist, war Jakob Adlhart d.J. auch der Schöpfer des am Makartplatz aufgestellten, sog. "NS-Wehrmanns". Diese Holzplastik stellte einen NS-Soldaten mit geschultertem Gewehr dar und sollte künftigen Generationen eine bleibende Erinnerung für die "überwältigende Opferbereitschaft der Salzburger Bevölkerung" sein.
Beeinflusst diese, von Memory Gaps nunmehr zur Diskussion gestellte, Erinnerungslücke hinsichtlich des Werkes von Jakob Adlhart
d.J. die Sicht auf diesen Salzburger Bildhauer und dessen Lebenshaltung?
Das an die eifrigen "kulturschaffenden" Karriereopportunisten der 30er- und 40er-Jahre gerichtete Wort des österreichischen Publizisten und Aphoristikers Alfred Polgar könnte den Zugang zu einer Antwort bieten:
"… nicht verschwiegen darf auch werden, daß es viele im Nazi-Reich gab, die zu den schmutzigen und blutigen Ereignissen dort zwar nicht laut "Nein" sagten, aber immerhin die keineswegs ungefährliche Charakter-Stärke aufbrachten, nicht laut "Ja" zu sagen. In ihrer Mehrheit jedoch erwiesen sich "die Geistigen" im Reich gleich der breiten Masse, als brave Schüler in der Schule der Verdummung und Verrohung. … Sie mußten, so hart es ihnen fiel, hinein in die Schrifttums-Kammer, die Kultur-Kammer, die Theater-Kammer, die Presse-Kammer.
Wenn ich sie nicht recht von Herzen bedauern kann, so deshalb, weil mein Mitleid aufgebraucht wird für die, die in die Gaskammer mussten."
Die Erstausgabe von "Die braune Gegenwart" erschien 2017, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von Werken der deutsch-österreichi-schen Malerin Konstanze Sailer in der Galerie Christoph Dürr, München.
Die vorliegende Ausgabe ist eine vollständig durchgesehene Neuauflage, anläs-slich der Wiederaufnahme 2021. Mit 30 Abbildungen von Werken aus den Jahren 2010 - 2017, Tusche auf Papier, von Konstanze Sailer sowie künstlerischen Interventionen und biografischen Kurztexten zu folgenden Personen, u.a.:
Heinrich Damisch, Clemens Krauss, Hans Pfitzner, Helene Taussig, Josef Thorak und Poldi
Wojtek.
Die Buchpräsentation von "Die
braune Gegenwart" fand am 22. Juli 2021 in Salzburg statt.
Memory Gaps unterstützt seit 2016 die von Konstanze Sailer stammende Idee, die nach Josef Thorak, einem der Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers, benannte Straße in
Salzburg-Aigen in Helene-Taussig-Straße umzube-nennen.