Teil V: Tempora mutantur
Die digitale Kunstinitiative Memory Gaps freut sich, dass ihre jahrelang-en Bemühungen endlich Erfolg hatten und die
Salzburger Festspiele nunmehr zwei wissenschaftliche Forschungsaufträge vergaben. Diese sollen das Leben und Wirken von Poldi Wojtek, einer besonderen NS-Karriereopportunistin und Gestalterin des heute immer noch verwende-ten Salzburger Festspiele-Logos
untersuchen.
Die Kunstinitiative ist auch darüber erfreut, dass ihre Ideen zur Umge-staltung des Wojtek-Logos die Festspiele inspiriert
haben, sodass das Sujet von Man Ray im Jubiläumsjahr jenes
von Poldi Wojtek in den Hintergrund treten lässt. Überdies wurde erstmals – im Katalog zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele – vermerkt, dass Poldi Wojtek eine Profiteurin der NS-Zeit
war.
Auch die u.a. von Salzburger Historikern seit Jahrzehnten und bis zuletzt geäußerten Zweifel an der Mitarbeit Poldi Wojteks an einem 1936 entstandenen Kinderbuch, das die Lebensgeschichte Hitlers idealisierte, konnte Memory Gaps zerstreuen und belegen (s.u.).
Aus Anlass des 100. Jubiläums der Salzburger Festspiele erlaubt sich Memory Gaps, drei "virtuelle" Fragen an Max Reinhardt zu stellen.
Frage 1:
Sehr verehrter Herr Reinhardt, hätten Sie dem Plakatsujet und späteren Logo der Salzburger Festspiele im Jahre 1928 auch dann nachträglich zugestimmt, wenn Sie gewusst hätten, was dessen Gestalterin Poldi Wojtek nur wenige Jahre später hervorbringen würde bzw. künstlerisch hervorbrachte?
Frage 2:
Herr Professor Reinhardt, wie denken Sie über folgende drei Fakten: darüber, dass Poldi Wojtek mit Kajetan Mühlmann von 1932 bis 1943 verheiratet war? Jenem Kai Mühlmann, der als Kunsthistoriker, SS-Offizier, Staatssekretär für Kultur sowie späterer NS-Kunsträuber zu schauriger Berühmtheit gelangte?
Und, dass ausgerechnet Josef Wojtek, der Vater von Poldi, jener Salz-burger Landesbeamte war, der im Zuge der "Arisierung"/ Enteignung Ihres geliebten Schlosses Leopoldskron zum kommissarischen Leiter/ Abwesenheitskurator bestellt wurde; und überdies die "arisierte" Villa der 1942 ermordeten Malerin Helene Taussig für seine Tochter erwarb?
Und wie denken SIe darüber, dass diese als Leopoldine bzw. Poldi Mühlmann bereits 1936 (!) und zudem völlig ohne Notwendigkeit ein Kinderbuch illustrierte, das die Lebensgeschichte Hitlers idealisierte?
"Eine wahre Geschichte"
Poldi Wojteks Kinderbuch-Illustration des Lebens Hitlers
Bereits 1936 illustrierte Poldi Wojtek (lt. Katalogisat als Poldi bzw. Leopoldine Mühlmann) ein propagandistisches Kinderbuch, das die Lebensgeschichte Adolf Hitlers idealisierte. Das Kinderbuch erschien unter dem Titel "Eine wahre Geschichte. Worte und Bilder von zwei Deutschen aus dem Auslande". Ein Kinderbuch-Bestseller, der – trotz des Verbotes in Österreich – im Jahr 1937 bereits in der 18. Auflage erschien.
Der Text zu Wojteks Illustrationen stammt von Karl Springenschmid, jenem völkischen NS-Schriftsteller, NSDAP-, SA- und SS-Mitglied sowie Leiter des Salzburger Schul-wesens und des NS-Lehrerbundes, der als einer der Hauptverantwortlichen für die Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz, am 30. April 1938, gilt.
Frage 3:
Verehrter Herr Reinhardt, wenn Sie heute, 100 Jahre nach Gründung der Festspiele erneut nach Salzburg kämen
und im Jahre 2020 noch immer das Sujet von Poldi Wojtek sähen, was würden Sie über die gegenwärtig leitenden Personen denken bzw. diesen höflich zu verstehen geben?
Teil I der Intervention "Poldi Wojtek,
Grafikerin", Juli 2018
Teil II der Intervention "Poldi Wojtek war nicht harmlos", Aug. 2018
Teil III der Intervention "Aryanization", Juli 2019
Teil IV der Intervention "Wojtek: zwischen Damisch und Anif", Aug. 2019
Teil VI "Poldi Wojtek - Chronologie einer Erinnerungslücke", Nov. 2020