Festessen im Juni 1927
Unter den Ehrengästen eines Festessens, im Juni 1927, zur Eröffnung des Kurhotels Marienhof in Hofgastein, waren illustre Personen: unter ihnen der damals amtierende Salzburger Landeshauptmann Dr. Rehrl, der Altbundeskanzler Dr. Ramek, der Bauleiter des Kurhotels Hofrat Ing. Josef Wojtek, seine Tochter Poldi, die "ohne dessen Zutun" ein Fresko im Kurhotel gestalten durfte, sowie der Kunsthistoriker, spätere SS-Offizier und prominente NS-Kunsträuber Dr. Kajetan (Kai) Mühlmann, in jenen Jahren noch Mitarbeiter der Salzburger Festspiele im Bereich Werbung.
Bei zahlreichen der sogenannten Salzburger Auftragswerke der 1920er Jahre war der Vater von Poldi Wojtek, Josef Wojtek, Bauleiter der betreffenden Projekte. 1929 bei einem Beamtenwohnhaus der Landesregierung in Zell am See, 1933 in der Kapelle des Salzburger Kinderspitals usw. 1928 "gewann" Poldi Wojteks Plakatentwurf sogar einen Wettbewerb der Salzburger Festspiele, ihr Sujet und wurde bis zu heutigen Tag als "Logo" des weltweit bedeutendsten Festivals klassischer Musik beibehalten.
Dass Wojteks "Logo" zwischen 1939-45 für die Salzburger Festspiele vonseiten der Nationalsozialisten nicht favorisiert wurde, hängt nicht damit zusammen, dass die Wojteks im Verdacht standen Antifaschisten zu sein, sondern damit, dass ihr an den Bauhausstil angelehntes Sujet nicht im Entferntesten dem NS-Geschmack entsprach.
Kajetan (Kai) Mühlmann begann nach seiner Zeit bei den Salzburger Festspielen Kontakte in die NSDAP zu knüpfen, u. a. zu Hermann Göring. 1932 heirateten die Grafikerin Poldi Wojtek und Kai Mühlmann, ihre Ehe blieb bis 1943 formal aufrecht.
Das NS-Netzwerk des Ehemannes
Wojteks Ehemann war nicht der einzige NS-Sympathisant in ihrem persönlichen Umfeld, auch mit zahlreichen frühen "Illegalen" verband sie eine durchaus rege Zusammenarbeit.
1936 illustrierte Wojtek (lt. Katalogisat als Poldi bzw. Leopoldine Mühlmann) ein propagandistisches Kinderbuch:
"Eine wahre Geschichte. Worte und Bilder von zwei Deutschen aus dem
Auslande". Es idealisierte die Lebens-geschichte Adolf Hitlers. Der Text zu ihren Illustrationen stammte von Karl Springenschmid, jenem völkischen
NS-Schriftsteller, NSDAP-, SA- und SS-Mitglied sowie Leiter des Salzburger Schulwesens, der als einer der Haupt-verantwortlichen für die Bücherverbren-nung auf dem Salzburger Residenzplatz, am
30. April 1938, gilt.
Die Perfidie des NS-Alltags
Einen "besonderen" Auftrag erfüllte Wojtek 1938, als sie einen Gobelin mit NS-Reichs-adler- und Hakenkreuzmotiv samt Hitler-Zitat aus dessen Linzer Rede, vom 12. März 1938, für das Ärztehaus Linz entwarf.
Wojteks Zusammenarbeit mit dem in der NS-Zeit überaus vielbeschäftigten sogenannten "Kleßheim-Architekten" Otto Reitter, in einem Konzert-Café 1936, ist nur eine weitere der zahlreichen einschlägigen Facetten der NS-Netzwerkerin.
Wiener NS-Karrieren
Die persönlichen Spannungen zwischen Kajetan Mühlmann und Gauleiter Josef Bürckel – des im Wiener Volksmund und hinter vorgehaltener Hand "Bierleiter Gauckel" genann-ten Reichskommissars – wirkten sich zunächst nicht nur auf die Karriere Mühlmanns, sondern auch auf das Fortkommen der Familie Wojtek in Salzburg negativ aus.
Vorübergehend nach Wien ausgewichen, war Hofrat Wojteks Wohnadresse die Wiener Reichshochschule (Name der Universität für Musik und darstellende Kunst zwischen 1938-45). Dort hatte seine zweite Tochter, Tonia, seit 1933 Mitglied in der NS-Reichstheaterkammer, ab 1938 die Leitung der Abteilung Tanz von Grete Wiesenthal, einer Koryphäe der österreichischen Tanzszene während der Ersten Republik, "übernommen". Grete Wiesenthal litt künstlerisch und menschlich ganz besonders unter der Vorstellung, "Frau Professor Wojtek weiterhin unterstellt" zu bleiben.
Heinrich Damisch: Gründervater und Antisemit
Positive Besprechungen erhielten die Choreografien von Tonia Wojtek, Poldis jüngerer Schwester, auch von Prof. Heinrich Damisch, einem der Gründerväter der Salzburger Festspielhausgemeinde und, eigenen Angaben zufolge, Direktionsmitglied der Salzburger Festspiele bis 1925 sowie frühes NSDAP-Mitglied ab 1932.
Der maßlose Antisemit Heinrich Damisch publizierte 1938 den Artikel "Die Verjudung des österreichischen Musiklebens", in der offen rassistischen Monatsschrift "Der Weltkampf", den Memory Gaps untenstehend im Original zugänglich macht.
Dieser Kurzaufsatz lässt keine Fragen zu Charakter und Haltung seines Autors offen, wenn er schreibt: "Arnold Schönberg, ein kleiner jüdischer
Handelsangestellter marxistischer Richtung, entdeckte seine Berufung zum musikalischen Demolierer …". Heinrich Damisch zufolge wurde Gustav Mahler, der "aus dem Wiener
Konservatorium »wegen Größenwahn« vorzeitig entfernte militante jüdische Dirigent" … "über Betreiben der Familie Rothschild" … "nach Wien zur Leitung der Hofoper berufen."
(S. 257).
Heinrich Damisch: "Die Verjudung des österreichischen Musiklebens", in: "Der Weltkampf. Monatsschrift für Weltpolitik, völkische Kultur und die Judenfrage in aller Welt", 15. Jg., 1938, München: Deutscher Volksverlag, S. 255-261.
Umbenennung der
Heinrich-Damisch-Straße in Helene-Taussig-Straße?
Dass Heinrich Damisch nach wie vor die Ehre einer nach ihm benannten Straße im Salzburger Stadtteil Parsch zuteil wird, könnte im kommenden Jubiläumsjahr der Salzburger Festspiele vonseiten der Stadt Salzburg zum Anlass genommen werden, eine Umbenennung der Straße durchzuführen. Memory Gaps schlägt bereits seit 2016 vor, die Josef-Thorak-Straße, die in Salzburg-Aigen nach dem Lieblingsbildhauer Hitlers benannt ist, oder, alternativ dazu, die Heinrich-Damisch-Straße in Salzburg-Parsch in Helene-Taussig-Straße umzubenennen.
Am Zenit der Macht
Dass Poldi Wojtek und Kai Mühlmann ihren neu gewonnenen NS-Status zunächst in vollen Zügen genossen, zeigte ihre freudige Annahme der Einladung, als österreichische Gäste den Olympischen Spielen in Berlin, im August 1936, beizuwohnen.
Am 19. Oktober 1938 dirigierte Richard Strauss, von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsmusikkammer, das festliche Eröffnungskonzert der Wiener Konzerthausgesell-schaft, aus Anlass des 25-jährigen Bestandsjubiläums des Wiener Konzerthauses.
Unter den Ehrengästen befanden sich, neben dem Wiener Gauleiter Odilo Globocnik und SS-Hauptsturmführer
Capra, auch der zwischenzeitlich zum NS-Staatssekretär avancierte Kajetan Mühlmann mit seiner Ehefrau Poldi Wojtek.
Zurück in Salzburg
Helene Taussig, Malerin und Eigentümerin einer Atelier-Villa in Anif bei Salzburg, war aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1940 aus Anif ausgewiesen, im April 1942 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert und kurz nach ihrer Ankunft ermordet worden. Vor ihrer Deportation wurde die Künstlerin gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. "Käufer" der Villa war Josef Wojtek, der seiner Tochter Poldi das Haus schenkte. "Aryanization" ("Arisierung"), vermerkten die US-amerikanischen Militärbehörden nach dem Krieg.
Poldi Wojtek nahm die Atelier-Villa, die ihr Vater "ohne jeglichen Druck auf Fräulein Taussig rechtmäßig erworben" hatte, wie sie den US-amerikanischen Militärbehörden im März 1946 mitteilte, gerne an. Denn die Vorbesitzerin, Fräulein Taussig, sei aus der Gemeinde Anif hinausgeworfen worden und "starb kürzlich in Polen".
Anif 106
Memory Gaps möchte hiermit ein bis heute bestehendes Narrativ beseitigen:
… niemand wisse bis heute, wo und wie sich die »beklagenswürdige Poldi Wojtek« nach dem Krieg durchschlagen musste, nachdem »die Amerikaner ihr Haus« weggenommen hätten ...
Ein Blick auf das nebenstehende Doku-ment, wenige Monate nach Kriegsende von Wojtek eigenhändig unterzeichnet und an die US-Militärbehörden gesendet, dokumentiert nicht nur Ihre Insensibilität der "Arisierung" gegenüber, sondern auch Ihre Adresse in Gmunden, wo sie mut-maßlich bis Anfang der 50er-Jahre als teils leitende Keramikerin tätig war..
Alte Seilschaften
Wojteks alte Kontakte hielten auch nach 1945. Karl Springenschmid, von den amerikanischen Besatzungstruppen gesucht, tauchte unter dem Namen Karl Bauer in Tirol unter und stellte sich als Ghostwriter in die Dienste des beliebten, anfangs auch von Hitler bewunderten, NSDAP-Mitglieds Luis Trenker. Springenschmid verbreitete auch nach 1945 völkisches Gedankengut, was Poldi Wojtek nicht daran hinderte, bis 1966 Weihnachtspostkarten für ihn zu gestalten.
Kajetan Mühlmann, der NS-Kunsträuber, lebte ab 1948 weitgehend unbehelligt am Starnberger See. Schwester Tonia zog vom Attersee nach Hannover und Vater Josef
Wojtek wurde zum Siebziger eine triumphale Rückkehr nach Salzburg, samt medialer Ehrung für sein Lebenswerk zuteil. Seine Erwähnung in den stets
wohlinformierten Salzburger Nachrichten, vom 1. Sept. 1947, ließ ein paar kleine Details, wie das NS-Mitläufertum und die "Arisierung" der Atelier-Villa von Helene Taussig diskret
weg.
Teil I der Intervention "Poldi Wojtek,
Grafikerin", Juli 2018
Teil II der Intervention "Poldi Wojtek war nicht harmlos", Aug. 2018
Teil III der Intervention "Aryanization", Juli 2019
Teil V der Intervention "Poldi Wojtek:
Maske ab!", Aug. 2020
Teil VI "Poldi Wojtek - Chronologie einer Erinnerungslücke", Nov. 2020