Die Grafikerin Poldi Wojtek "ging mit der Zeit". Insbesondere während der 1930er Jahre war sie jedoch weder ahnungslos noch unpolitisch.
Leopoldine (Poldi) Wojtek (1903-1978) war Grafikerin. Sie gestaltete u. a. 1928 ein Sujet, das als Plakat vergangener Festspiele und auch heute noch als "Logo" der Salzburger Festspiele Verwendung findet. Von 1932 bis 1943 war sie mit Kajetan (Kai) Mühlmann, einem Kunsthistoriker, SS-Offizier und späteren NS-Kunsträuber verheiratet.
Durch Kai Mühlmann erhielt Poldi Wojtek während der NS-Zeit zahlreiche Aufträge. Sie nannte sich
abwechselnd Poldi Wojtek, Poldi Mühlmann oder Poldi Wojtek-Mühlmann, je nach Auftrag oder Anlass. Einen "besonderen" Auftrag erfüllte Wojtek 1938, als sie
einen Gobelin mit NS-Reichsadler- und Hakenkreuzmotiv samt Hitler-Zitat aus dessen Linzer Rede, vom 12. März 1938, für das Ärztehaus in Linz entwarf. Wie die "Kleine Volkszeitung" vom
22. Jan. 1939 berichtete, wurde dieser in der Gobelinmanufaktur in der Wiener Hofburg angefertigt, ein „Bildteppich für die Wirtschaftsorganisation der Ärzte in der Patenstadt des
Führers“:
Zum künstlerischen Beirat des monatlich erscheinenden, erschreckend hochwertig produzierten offiziellen NS-Kunstmaga-zins "Die Kunst im Dritten Reich" (ab 1939 unter dem Titel "Die Kunst im Deutschen Reich") zählten u. a. Albert Speer, "Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt" und Fritz Todt, "Generalinspektor für das Deutsche Straßenwesen".
Poldi Wojtek-Mühlmann arbeitete in der NS-Zeit u. a. auch an der Gestaltung des Eisernen Vorhangs am Wiener Akademietheater mit, doch bereits davor illustrierte sie, 1936, als Poldi Mühlmann, ein propagandistisches Kinderbuch, das die Lebensgeschichte Adolf Hitlers idealisierte. Das Kinderbuch erschien 1936 unter dem Titel "Eine wahre Geschichte. Worte und Bilder von zwei Deutschen aus dem Auslande", ein Kinderbuch-Bestseller, bereits 1937 in der 18. Auflage (!) verfügbar.
Die Ausgaben 1936 und 1937 enthielten in Österreich keine Autorennennungen, da die NSDAP verboten war. Der Text zu Wojteks Illustrationen stammt von Karl Springenschmid, jenem völkischen NS-Schriftsteller, NSDAP-, SA- und SS-Mitglied sowie Leiter des Salzburger Schulwesens und des NS-Lehrerbundes, der als einer der Hauptverantwortlichen für die Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz, am 30. April 1938, gilt.
Kajetan Mühlmann, Ehemann, SS-Mann, NS-Kunsträuber
Kai Mühlmann, bis 1943 Ehemann von Poldi Wojtek-Mühlmann, knüpfte bereits im Laufe der 1930er Jahre maßgebliche Kontakte in die NSDAP, u. a. zu Hermann Göring, und er war 1938 zu Besuch bei Adolf Hitler, auf dessen Berghof am Obersalzberg, als dieser am 12. Februar Bundeskanzler Kurt Schuschnigg brüllend demütigte und ihm das sog. "Berchtesgadener Abkommen" aufzwang.
Als Kurzzeit-Bundeskanzler und Reichsstatthalter ernannte Arthur Seyß-Inquart den SS-Offizier Mühlmann zum Staatssekretär für Kultur. Als "Kunsträuber" der NS-Diktatur "sicherte", d. h. raubte dieser mit seinen Schergen zahlreiche öffentliche, kirchliche und vor allem jüdische Kunstschätze, in mehreren von der deutschen Wehrmacht unter-worfenen europäischen Ländern. Unter anderem ließ sich auch Josef Thorak, der Lieblingsbildhauer Hitlers, von Mühlmann geraubte gotische Türen und Skulpturen für sein "arisiertes" Schloss Prielau – die Familie Hofmannsthal war enteignet worden – aus Frankreich beschaffen.
Josef Wojtek, Vater, Schwiegervater, Hofrat in Salzburg
Der Vater von Poldi Wojtek-Mühlmann, Hofrat Ing. Josef Wojtek, schenkte seiner Tochter Poldi 1943 das "arisierte" Atelierhaus der Malerin Helene Taussig in Anif, das er 1941 "erworben" hatte. Helene Taussig war 1941 enteignet, 1942 deportiert und ermordet worden.
Hofrat Josef Wojtek trat auch davor im Zusammenhang mit "Arisierungen" und "NS-Enteignungen" in Erscheinung,
als zuständiger Beamter für konfiszierte Repräsen-tationsgebäude in Salzburg; so wurde er etwa im Frühjahr 1938 zum kommissarischen Leiter des Schlosses Leopoldskron – Max Reinhardt war gleichfalls enteignet
worden – bestellt.
(Salzburger Volksblatt, 6. Mai 1938) Die "Illustrierte Kronen-Zeitung" vom 31. März 1938 höhnte dazu: "Die Frage nach dem Aufenthaltsort des Schmocks Reinhardt scheint uns aber weit weniger
wichtig zu sein als die Tatsache, daß er nicht mehr da ist. Mehr wollten wir doch gar nicht ... !"
Tonia Wojtek, Schwester, Tänzerin, Reichshochschulprofessorin
Grete Wiesenthal war eine Koryphäe der österreichischen Tanzszene während der Ersten Republik. Sie tanzte und
choreographierte u. a. in Salzburger Produktionen von Max Reinhardt. Ab 1934 leitete sie den Meisterkurs für künstlerischen Tanz an der Staatsakademie in Wien (Name der Universität für
Musik und darstellende Kunst zwischen 1919-1938). Nach dem Anschluss 1938 übernahm die Schwester von Poldi Wojtek, Tonia (Antonia), eine Absolventin der
Wigman-Schule in Deutschland und seit 1933 Mitglied in der NS-Reichstheaterkammer, die Leitung der Abteilung Tanz von Grete Wiesenthal an der sog. Reichshochschule (Name der
Universität zwischen 1938-1945).
Poldi Wojtek war keine apolitische Gebrauchsgrafikerin der 1930er Jahre, sondern – wie zahlreiche andere Künstler, etwa Josef Thorak, der Lieblingsbildhauer Hitlers – eine Profiteurin der Zeit und des totalitären NS-Regimes.
Zumindest im Gedenkjahr 2018 sollte das als "Logo" der Salzburger Festspiele auch heute noch verwendete Sujet, das vor 90 Jahren von Poldi Wojtek gestaltet wurde, kommentiert werden.
Dies ist der Kommentar der digitalen Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken.
Teil I der Intervention "Poldi Wojtek,
Grafikerin", Juli 2018
Teil III der Intervention "Aryanization", Juli 2019
Teil IV der Intervention "Wojtek: zwischen Damisch und Anif", Aug. 2019
Teil V der Intervention "Poldi Wojtek:
Maske ab!", Aug. 2020
Teil VI "Poldi Wojtek - Chronologie einer Erinnerungslücke", Nov. 2020