Konstanze Sailer
Tusche auf Papier
Contemporary Artroom
Alois-Hofer-Weg 40
8010 Graz
Alois Hofer (* 20. Juni 1899 in Wöbling bei Graz; † 24. Oktober 1940 im NS-Gefängnis Brandenburg-Görden) wurde aufgrund seiner religiösen Überzeugung und pazifistischen Haltung ermordet. Alois Hofer war Schumacher und seit 1927 Mitglied der Bibelforscher. Im Juni 1940 wurde er in Graz verhaftet, nach Berlin überstellt, wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tod verurteilt und im Gefängnis Brandenburg-Görden geköpft.
Bis zum heutigen Tag existiert in Graz keine Straße, die seinen Namen trägt. Hingegen ist nach Franz Nabl heute noch ein Weg in Graz benannt, ebenso wie in vier weiteren steirischen Gemeinden. Franz Nabl war Schriftsteller, seit den 1920er Jahren völkisch-nationalistisch orientiert und seit 1936 Mitglied im "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs". Er war Literaturpreisträger während der NS-Zeit und nahm 1943 das Ehrendoktorat der Universität Graz an. Anstelle von Franz Nabl sollte in Graz Alois Hofers gedacht werden.
Alois Hofer hätte
„nur" die zynische „NS-Erklärung" unterschreiben müssen, um sein Leben zu retten. Er schwor seinem Glauben jedoch nicht ab, wurde zum Tod verurteilt und ermordet.
Jehovas Zeugen
griffen nicht zur Waffe, sondern hielten strikt am biblischen Tötungsverbot fest. Gott war ihr Heilsbringer, sie lehnten daher jegliche Heilsideologie des NS-Füherkultes ab. Sie wurden daher unter anderem als „wehrkraft-zersetzend“ beurteilt und verfolgt.
Die verschiedenen
Gruppen von Bibelforschern befolgten die staatlichen Gesetze. Sie weigerten sich jedoch, in Rüstungsfabriken zu arbeiten oder NS-Loyalitätsbezeugun- gen abzugeben. Daher wurden sie als Staatsfeinde verfolgt.
Von den Tausenden
in Konzentrationslagern und Gefängnissen internierten Bibelforschern wurden über 1500 ermordet, über 250 Todesurteile wurden vom Reichskriegsgericht wegen Kriegsdienstverweigerung ausgesprochen und zumeist durch das Fallbeil vollstreckt.
Mit lila Winkeln,
jenen farbigen, gleichschenkligen Stoffdreiecken auf der KZ-Häftlings-kleidung wurden die Bibelforscher nicht nur ihrer Grundrechte beraubt, sondern kategorisiert und damit entindividualisiert.
Der französische Philosoph
Paul Ricœur schrieb über die verschiedenen kulturellen Wahrnehmungswelten der Menschen: „Es gibt Zeugen, die niemals auf die Zuhörerschaft stoßen, die imstande wäre, sie anzuhören und zu verstehen.“
Schreie und Aufschreie
sind jäh unterbrochene Sprache, wie abschiedsloses Sterben. Die Tuschen von Konstanze Sailer sind Andeutun- gen und Zuordnungen: Kiefer zu Aufschrei, Schriftzeichen zu Todesphonem.
Schreie tragen keine
Namen, sondern individuelle Uhrzeiten. Sie repräsentieren Momente der Verwundung und des Todes. Erst durch den Nachhall der Aufschreie wird die Erinnerung dauerhaft.
Jedem einzelnen
der tausenden zum Aufschrei geöffneten Kiefer, die aus dem Papierwerk der Malerin Konstanze Sailer ab dem Jahr 2005 entstammen, ist ein individueller Todeszeitpunkt zugeordnet.